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Kunstgeschichte ist nicht nur eine Auflistung der Avantgarden und lnnovationen; sie berücksichtigt auch Kunstschaffende, die erst auf den zweiten Blick einen wichtigen Beitrag geleistet haben das zeigt die Kuratorin Sandra Gianfreda mit ihrer Schau der Malerin Ottilie Wilhelmine Roederstein (geb. 1859 in Zürich, gest. 1937 in Hofheim am Taunus) im Kunsthaus Zürich. Mit 75 Werken ist es in der Schweiz nach 80 Jahren die erste monografische Ausstellung der Künstlerin, die als die bedeutendste Schweizer Porträtistin ihrer Zeit gilt. Aufgewachsen in Zürich, in einer Kaufmannsfamilie deutscher Eltern, fühlt sie sich früh zur Malerei hingezogen, was aber für eine junge Frau von damals keine Option war, ausser man wurde in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Das war Roederstein nicht – sie musste sich die Erlaubnis der Eltern deshalb förmlich erkämpfen. Als erste Ausbildungsstation lernte sie im Atelier des Schweizer Künstlers Eduard Pfyffer (1836-1899), bis sie bald nach Berlin wechselte, wo eine grössere Lehrstätte auf sie wartete: das Damenatelier des bekannten Malers Karl Gussow (1843-1902. Mit ihrer Berliner Freundin Anni Hopf (1861 1918) zog sie zu Ausbildungszwecken weiter nach Paris, das damals die Kunstmetropole schlechthin war. Die Moderne nahm hier ihren Ausgang. Roederstein liess sich von Paris und dem dortigen Kunstgeschehen stark anregen. Sie wollte schnell unabhängig von den Eltern sein und versuchte schon früh, ihr Einkommen mit Malerei zu verdienen.